Packwalks

Wer sich in letzter Zeit ab und an durch das gängige Programm von Hundeschulen bzw. HundetrainerInnen gewühlt hat, dem wird vielleicht aufgefallen sein, dass sogenannte „Packwalks“ oder „Rudelspaziergänge“ immer häufiger unter den Angeboten landen – ja manchmal sogar eines der ganz besonderen Aushängeschilder eines Trainers oder einer Trainerin sind. *

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Würden Hunde „Packwalks“ buchen?

Zunächst – was definiert so einen Packwalk? Menschen gehen mit einer Hundegruppe spazieren und lernen einen, zwei bzw. als Endziel eine ganze Hundegruppe (an der Leine) souverän und entspannt zu führen. Ohne Handgreiflichkeiten und Geschrei aber auch ohne Leckerlibestechung oder Clickertraining soll „die optimale Energie zwischen Hund und Mensch“ erreicht werden – so die Zielsetzung. Etwas konkreter sieht es meistens so aus, dass sich eine Gruppe formiert bestehend aus Menschen, die entweder mit ihren eigenen Hunden oder ohne Hund am Trainingsprogramm teilnehmen und dem Trainer/der Trainerin, der/die häufig ein paar Hunde aus dem „eigenen“ Rudel mitbringt. Diese Gruppe spaziert meist durch den öffentlichen Raum, die TeilnehmerInnen lernen sich durchzusetzen und einen bis mehrere Hunde neben sich zu führen, ohne dass es von Seiten der Hunde zu Übertretungen kommt. Sehr nah am Menschen soll der Hund laufen, und auf gar keinen Fall vorpreschen – gelehrt wird das durch das Auftreten mit der „richtigen Energie“. An der Leine zu laufen ohne aufzufallen, geduldig zu warten wenn und so lange der Hundeführer es möchte und problemfrei die Anwesenheit der Artgenossen zu akzeptieren, das sollen die Hunde dabei lernen. In der Gruppe sind die Erfahrungsgrade der Hunde wie auch der Menschen normalerweise sehr gemischt, vom Rudelneuling bis hin zum Profi-Packwalker kann alles dabei sein. Dementsprechend auffällig oder unauffällig verhalten sich auch die Hunde und die trainierenden Menschen. Die Königsklasse eines solchen Gassigangs mit dem „Rudel“ zeigen TrainerInnen gerne her: sie dirigieren viele Hunde ganz ohne Leine neben sich!

Blickt man nur sehr kurz auf so eine Rudelspaziergang-Szene, wirkt sie in manchen Fällen vielleicht sogar sehr vorbildlich. Eventuell haben Sie selbst schon einmal solche Gruppen live oder auf Videoaufnahmen gesehen und sich gedacht: wow, so einfach kann es sein? Mein Hund zieht an der Leine, will unbedingt jeden anderen Hund begrüßen, wechselt bei jeder kreuzenden Wildtierspur in den Jagdmodus……..und die gehen nach kurzer Zeit alle schon so locker und gelassen mit Ihren Hunden spazieren? Wie geht das – ich möchte mit meinem Hund auch so entspannte Spaziergänge machen!

Aber Moment – sehen wir uns das Ganze doch mal etwas genauer an.

Was ist eigentlich ein Rudel?
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Rudel???

Nur ganz kurz möchte ich hier zunächst eine begriffliche Verwirrung klären: Begriffe wie Pack (englisch für Rudel) oder Rudel werden von vielen TrainerInnen nach wie vor sehr häufig und gerne verwendet. Leider gerne auch falsch. Der Begriff des Rudels schwappte ursprünglich vom Wolf, dem legitimen Vorfahren des Hundes, zum Hund herüber. Dies jedoch zu einer Zeit, als wir noch nicht so viel von den genauen Unterschieden in der Sozialstruktur zwischen Wolf und Hund wussten, wie heute. Wölfe bilden Rudel – diese sind gleichzeitig Familienverbände bestehend aus einem reproduzierenden Paar und deren Nachkommen unterschiedlicher Altersklassen. Im Laufe der Evolutionsgeschichte sind Rudelstrukturen entstanden, weil sich die Tiere damit neue Nahrungsnischen ergründen konnten – große Beutetiere lassen sich nämlich viel besser in einer Gruppe erlegen als alleine. Hunde hingegen haben sich an ein Leben im Anschluss an den Menschen angepasst – auch die wild bzw. frei lebenden Hunde. Im Umkreis des Menschen fällt ausreichend Nahrung für Hunde ab. Um eine Mülltonne zu „erlegen“, oder ab und an mal eine Maus oder ein Kaninchen zu fangen, dafür benötigen Hunde nun wirklich keine Gruppenverstärkung – das geht auch alleine. So haben Hunde auch eine andere Sozialstruktur als Wölfe – sie pflegen zwar mitunter soziale Beziehungen, jedoch sind diese viel loser gestaltet als bei Wölfen (daher keine Rudel) und spielen beim Nahrungserwerb keine Rolle.
Eine Gruppe an Hunden, die einfach nur gemeinsam spazieren geht, als Pack oder Rudel zu bezeichnen, ist also schlicht und einfach irreführend und falsch. Es ist eine Hundegruppe, meistens sogar recht spontan zusammengewürfelt und meilenweit von einem wirklichen Rudel entfernt.

Sozialverhalten: eingeschränkt!

Vermutlich waren Sie mit Ihrem eigenen Hund schon einmal gemeinsam mit anderen Menschen und ihren Hunden unterwegs, oder treffen sich sogar regelmäßig zu gemeinsamen Spaziergängen. Haben sie dabei beobachtet, wie Hunde sich (im Freilauf oder an der langen Leine) in einer Gruppe fortbewegen? Meistens gibt es einen Chef in der Gruppe, neben dem sich alle anderen Hunde links und rechts einordnen und so gehen sie dann Schulter an Schulter gemeinsam vorwärts durchs Gelände, stimmts? Nein! Hunde laufen mal beieinander, mal alleine, sie machen Bögen, beschnüffeln sich, gehen sich aus dem Weg, toben gemeinsam oder halten sich auch mal aus allem raus.

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Ohne Leine oder mit ausreichend Leinenradius können Hunde uneingeschränkt kommunizieren und sich aus dem Weg gehen, wenn sie es möchten.

Hunde kommunizieren mittels ihrer Körpersprache sehr deutlich miteinander, wobei manche Ausdrucksweisen sehr subtil sind und man sie als Mensch schon mal übersehen kann. Alle Körperteile vom Kopf bis zur Schwanzspitze werden dafür eingesetzt, und auch Mimik spielt eine wichtige Rolle: allein schon die Blickrichtung kann eine kommunikative Bedeutung haben. Werden Hunde nebeneinander an sehr kurzer Leine geführt, die ihnen maximal das Senken des Kopfes bis zum Boden erlaubt, so ist die innerartliche Kommunikation sehr stark eingeschränkt. Weder können die Hunde mit ihrem direkten Nachbarn vernünftig kommunizieren, noch mit den Hunden die vor oder hinter ihnen laufen. Allein das Absenken oder Wegdrehen des Kopfes wird bei Packwalks häufig durch ein enger nehmen der Leine oder einen Leinenruck korrigiert – so fühlt sich kein Hund wohl, neben einem Artgenossen her laufen zu müssen. Zusätzlich werden die Hundegruppen nach Bedarf neu zusammengestellt. Dadurch müssen durch die knappe Leinenführung auch Hunde in direktem Körperkontakt nebeneinander laufen, die sich gerade das erste Mal begegnen und vorher vielleicht noch nicht einmal die Chance hatten, sich nach den Regeln des Hunde-Knigge zu begrüßen.

Um einem Hund positive Sozialkontakte zu bieten oder sogar den höflichen Umgang mit Artgenossen beizubringen, sind Packwalks also nicht geeignet.

Alternativen: Spaziergänge gemeinsam mit anderen Hunden sollten immer so stattfinden, dass Hunde problemlos miteinander kommunizieren und sich wenn nötig aus dem Weg gehen können.

Social Walk

Für sozialverträgliche Hunde ist ein Gruppenspaziergang im Freilauf die beste Variante. Ist Freilauf nicht möglich, so sollte eine lange Leine verwendet werden (keine Flexileine). Leinenlängen von 1 Meter oder noch kürzer sind absolut ungeeignet!
Für Hunde, die noch Probleme mit dem Umgang mit Artgenossen haben, sind Spaziergänge an der Leine geeignet, bei denen die Hunde mit so viel Abstand zu Artgenossen geführt werden, dass sie entspannt bleiben können. Bei Social Walks werden die Hunde zum Beispiel an der (langen) Leine gesichert und lernen zunächst auf Distanz die Anwesenheit von Artgenossen zu tolerieren, sich dabei wohl zu fühlen und ihre Körpersprache zur Konfliktvermeidung einzusetzen. Mit der Zeit und im Laufe der Lernfortschritte wird die Distanz zu den anderen Hunden reduziert und auch direkte Sozialkontakte zunehmend ermöglicht.

Natürliche Fortbewegung: gebremst!

Wie schon beschrieben werden Hunde in Packwalk-Konstellationen im Normalfall an sehr kurzer Leine geführt. Selbstverständlich gibt es im öffentlichen Raum viele Gebiete, wo heutzutage Leinenpflicht herrscht. Wer sich durchgehend daran hält, geht mit gutem Beispiel voran! Doch die Verwendung einer Leine ist das eine, die Leinenlänge das andere. Nehmen wir also noch einmal die Hunde auf dem Packwalk unter die Lupe. Die Leinenlänge ist im Normalfall auf das absolute Minimum reduziert. Das heißt, der Hund kann gerade noch so neben dem Bein des Menschen geführt werden, dass die Leine leicht durchhängt (wenn überhaupt).

Ist der Hund verlässlich abrufbar, so gehört Freilauf zum hundegerechten Spaziergang dazu.

Durch diese Art der Leinenführung muss sich ein Hund permanent an das Gehtempo des Menschen anpassen. Hunde im Freilauf variieren ihr Fortbewegungstempo, wobei ein erwachsener, gesunder Hund am häufigsten im Trab läuft. Der Trab stellt für Hunde das energiesparendste Lauftempo dar, das sie über weite Strecken aufrecht halten können. Ein Hundetrab, zumindest von mittelgroßen bis großen Hunden, ist jedoch im Normalfall um einiges schneller als das normale Gehtempo eines Menschen. Werden Hunde also an einer extrem kurzen Leine geführt und sollen dabei unauffällig neben dem Hundeführer her trotten, müssen sie sich permanent in ihrer Bewegung zurücknehmen und meistens vom Trab in ein gedrosseltes Schritttempo wechseln. Beim Packwalk soll der Hund außerdem auf keinen Fall vor dem Hundeführer laufen. Das heißt, auch seine Position am Bein des Menschen muss er ständig anpassen, um nicht korrigiert zu werden. Richtig unangenehm wird es für die Hunde dadurch, dass diese Art der Fortbewegung nicht nur als kurze Trainingseinheit sondern während eines gesamten Spaziergangs gefordert wird. Fällt ein Hund nach einem Packwalk müde ins Körbchen, liegt es also höchstwahrscheinlich daran, dass der Hund den ganzen Spaziergang über damit beschäftigt war, sich in seinem Fortbewegungstempo zu drosseln und gleichzeitig die gewünschte Laufposition neben dem Bein des Menschen nicht zu verlassen – sowas erfordert laufende Konzentration und Selbstkorrektur vom Hund.

Eine artgerechte körperliche Auslastung können Packwalks also auch nicht bieten.

Übrigens: einem Hund zu verbieten, vor einem zu laufen um sich dadurch als „Rudelchef“ zu etablieren, ist Humbug. Wie oben beschrieben wird allein der Begriff des Rudels meistens falsch verwendet und Menschen und Hunde bilden sowieso keine Rudel. Zusätzlich gibt es unter Hunden keine Regel die besagt, dass nur der „Chef“ immer vorne laufen darf, auch wenn dies gerne behauptet wird. Wenn Sie also einen Hund haben der eher vor ihnen trabt, müssen und sollten Sie dies nicht als Hinweis darauf interpretieren, dass Ihr Hund morgen die Herrschaft in Ihrem Haushalt an sich reißen möchte.

Freilauf in abgesichertem Gelände

Alternativen: Möchten Sie mit ihrem Hund üben, auch mal bei Fuß zu laufen, so spricht absolut nichts dagegen, solche Trainingseinheiten mit dem Hund (positiv) zu gestalten. Und selbstverständlich ist es empfehlenswert, seinem Hund eine gute Leinenführigkeit beizubringen. Ein Hund braucht aber auch ausreichend Zeit, um sich körperlich so bewegen zu können, wie es ihm beliebt. Sollte es Ihnen aus welchen Gründen auch immer nicht möglich sein, Ihrem Hund Freilaufgebiete oder eingezäunte Flächen zum freien Toben zu bieten, so erlauben Spaziergänge an der langen Leine zumindest ein gewisses Maß an natürlicher Fortbewegung. Für manche Mensch-Hund-Teams sind auch gemeinsame sportliche Aktivitäten wie Joggen oder Radfahren gut geeignet, um dem Hund die Fortbewegung in natürlichem Lauftempo zu ermöglichen.

Zeit für „Hundedinge“: unmöglich!
Quer über die Wiese schnüffeln: für uns Menschen vielleicht langweilig, aber für den Hund spannend.

Hunde sind „Nasentiere“ und erkunden ihre Umgebung schnüffelnd. So lassen sie sich normalerweise von ihrer Nase durch die Gegend leiten und verweilen schnüffelnd mal hier, mal dort oder verfolgen eine interessante Spur am Boden. Bei Packwalks ist es den Hunden nicht erlaubt, sich diesen Hundedingen zu widmen. Für die Hunde ist es durch die kurze Leine oft nicht einmal möglich, den Kopf zum Boden zu senken, geschweige denn, dass der Mensch mit dem Hund stehen bleiben würde, wenn er irgendwo intensiver schnüffeln möchte. Es geht einfach in Menschentempo stur durch die Landschaft – den Hunden wird keine Zeit gegönnt, sich ihrer Art entsprechend mit der Umwelt zu beschäftigen.
Wer seinem Hund körperliche und geistige Auslastung durch eine vielseitige Erkundung seiner Umwelt ermöglichen möchte, ist in einer Packwalk-Gruppe daher schlecht aufgehoben.

Alternativen: Es ist nicht schlecht, sich hin und wieder bewusst zu machen, dass ein Spaziergang mit dem Hund im Grünen nicht nur dem Menschen die gewünschte Erholung und/oder Bewegung liefern sollte, sondern vor allem auch für den Hund eine angenehme und spannende Sache sein sollte. Die Qualität eines Hundespaziergangs kann man sehr einfach steigern, indem man sich etwas mehr am Hund und seinen Interessen orientiert anstatt einfach eine gewisse Anzahl von Minuten oder Kilometern „abzuarbeiten“. Kleine Dinge wie zum Beispiel einfach mal ein paar Minuten zu warten wenn der Hund gerne irgendwo schnüffeln oder buddeln möchte anstatt ihn nach kurzer Zeit weiter zu rufen, können schon einen großen Unterschied machen. Entdecken Sie die Vorlieben Ihres Hundes und lassen Sie ihn diese auf dem Spaziergang ausleben, soweit es möglich ist.

Training mit Druck und Strafe

Wie im ersten Absatz beschrieben, werden Packwalks gerne damit beworben, dass Hunde allein durch die richtige „Energie“ problemlos geführt werden können. Als Mensch soll man erlernen, diese Energie auszustrahlen. Sieht man sich allerdings den Umgang mit den Hunden etwas genauer an, so wird man schnell bemerken, dass es weniger die sehr schwammig definierte Energie ist, die Hunde magisch erzieht, sondern mehr oder weniger scharfe Korrekturen der Hunde. Das heißt, dass solche Dinge wie Leinenruck oder körperliche Einwirkungen wie Anrempeln, grobes Blocken, oder den Hund im Halsbereich mit einem Stoß der Finger zu korrigieren (was den tadelnden Biss einer Hundemutter nachahmen soll…) im Training an der Tagesordnung stehen. Jede Eigeninitiative der Hunde, sich beim Spaziergang ihren Vorlieben entsprechend zu verhalten, wird im Ansatz ausgebremst. Nicht mit „Energie“, sondern mit sehr konkreter Bestrafung für Fehltritte!

Wozu Packwalks?

Es stellt sich schließlich die Frage, wem so ein Packwalk eigentlich nützt, denn für die Hunde bringen sie offensichtlich nur Nachteile mit sich. Also hat wohl eher nur das andere Ende der Leine einen Nutzen davon? So ist es. Es scheint für manche Menschen ein gutes Gefühl zu erzeugen, wenn sie eine Traube an Hunden scheinbar konfliktfrei neben sich dirigieren. Vielleicht unter anderem auch, weil dies in der Öffentlichkeit oft mit Staunen wahrgenommen wird und weil sie dafür gelobt werden wie gut sie die Hunde unter Kontrolle haben? Die Antworten können sie wohl nur selbst geben.

HUNDE jedenfalls brauchen keine Packwalks.

 

 

 

*  Gelegentlich wird der Begriff Packwalk oder Rudelspaziergang auch von TrainerInnen verwendet, die gewöhnliche Hundespaziergänge in der Gruppe bzw. Social Walks anbieten, wobei diese doppelte Verwendung des Begriffes eher im englischsprachigen Raum verbreitet ist. Informieren Sie sich gegebenenfalls immer vor der Teilnahme an so einem Kurs im Detail über den Aufbau und die Zielsetzung und überprüfen Sie die Qualifikationen des Trainers/der Trainerin.

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