Der Verweis auf Beschwichtigungssignale ist heutzutage fast schon gang und gäbe – zumindest unter jenen HundehalterInnen und -expertInnen, die sich dem fairen und gewaltfreien Umgang mit Hunden verschrieben haben. Seit jedoch Turid Rugaas den Begriff der Beschwichtigungssignale geprägt und in der Hundeszene weiter verbreitet hat, gibt es auch Kontroversen rund um ihre Interpretation dieser Signale. Kritisch hinterfragt wird dabei nicht das Auftreten der von Rugaas als Beschwichtigungssignale bezeichneten körpersprachlichen Elemente, sondern ob tatsächlich in allen Fällen eine kommunikative und „beruhigende“, konflikthemmende Funktion dieser Signale besteht. Wissenschaftliche Studien in dem Bereich sind immer noch rar bis nicht vorhanden.
Eine vor kurzem veröffentlichte Pilotstudie an der Universität von Pisa beschäftigte sich aber genau damit, nämlich einer wisschenschaftlichen Bewertung darüber, ob die von Rugaas als Beschwichtigungssignale (Calming signals) bezeichneten Verhaltensweisen eine kommunikative und deeskalierende Funktion innerhalb aggressiver Außeinandersetzungen mit Artgenossen aufweisen.
Teilnehmende Hunde
Die an der Studie teilnehmenden Hunde, insgesamt 48, wurden immer paarweise getestet. Innerhalb eines Paares wurde ein Hund als „Sender“ ausgewählt, auf dem der Fokus lag. Am Sender wurde das Auftreten von Beschwichtigungssignalen beobachtet und notiert. Der andere Hund wurde als „Empfänger“ bezeichnet. An ihm wurde das mögliche Auftreten aggressiver Verhaltenselemente beim Kontakt mit dem Sender beobachtet.
Unter den 24 „Senderhunden“ waren die Geschlechter gleichmäßig verteilt und sowohl kastrierte als auch unkastrierte Hunde inkludiert. Das Alter der Hunde reichte von 1,5 bis 8 Jahren und es wurden Hunde unterschiedlicher Rassen bzw. Rassemischungen und Größen getestet. Bei den zusammengewürfelten Paaren aus Sender und Empfänger wurde darauf geachtet, starke Größenunterschiede zwischen den Hunde zu vermeiden.
Versuchsablauf
Die Hundepaare trafen auf einer 10 Quadratmeter großen Fläche aufeinander. Jeder Senderhund wurde dabei im Laufe der Studie mit vier verschiedenen Empfängerhunden beobachtet: einem bekannten Hund gleichen Geschlechts, einem unbekannten Hund gleichen Geschlechts sowie einem bekannten und unbekannten Hund des anderen Geschlechts. Vor dem Aufeinandertreffen der Hundepaare in der Versuchsarena konnte sich jeder Hund einzeln mit der Örtlichkeit vertraut machen und wurde dann wieder aus der Arena geführt. Die darauf folgende Kontaktphase der Hunde wurde mit 2 Kameras aufgezeichnet.
Analyse der Beobachtungen
Aus dem dabei entstandenen Videomaterial wurden beim Senderhund folgende Beschwichtigungssignale der Definition von Turid Rugaas folgend ausgewertet: Abwenden des Kopfes, weicher Blick (Absenken der Augenlider), Schlecken über Nase oder Lippen, Einfrieren, langsames Gehen/langsame Bewegungen, Vorderkörpertiefstellung, Absitzen, Hinlegen, Gähnen, Schnüffeln, Bogen gehen, „tiefes“ Schwanzwedeln (leichtes Wedeln mit tief gehaltener Rute), sich klein machen, dem anderen Hund über das Maul schlecken (oder Versuch dessen), Lippenschmatzen, Blinzeln und Heben einer Vorderpfote;
Immer wenn der Senderhund eines oder mehrere dieser Signale zeigte, wurde ausgewertet, in welcher Situation relativ zum Artgenossen sich der Senderhund beim Ausführen des Signals befand: als (1) keine Interaktion mit dem Artgenossen wurde es gewertet, wenn der Senderhund weiter als 1,5 Körperlängen vom Empfängerhund entfernt war und die Hunde keinen Augenkontakt herstellten. Als (2) Interaktion auf Distanz wurde es kategorisiert, wenn die Hunde weiter als 1,5 Körperlängen des Senderhundes voneinander entfernt waren und miteinander interagierten, das heißt Augenkontakt herstellten oder anders deutlich miteinander kommunizierten. Als (3) enge Interaktion wurde es schließlich betrachtet, wenn Hunde sich näher zueinander aufhielten als 1,5 Körperlängen des Senderhundes.
Bei den Empfängerhunden wurde das Auftreten aggressiver Verhaltenselemente, definiert als Beißen, Schnappen, Knurren oder aggressives Bellen (Gebell kombiniert mit Losstürmen, Angriff oder Starren) notiert. Außerdem wurde in diesem Zusammenhang auch festgehalten, ob der Senderhund nach dem aggressiven Verhalten seines Artgenossen mindestens ein Beschwichtigungssignal zeigte oder nicht.
Studienergebnisse
Die Daten aus den Videoanalysen ergaben, dass Senderhunde den größten Anteil der beobachtbaren Beschwichtigungssignale im Kontext des engen sozialen Kontaktes einsetzten. Genauer gesagt traten 65% aller aufgezeichneten Beschwichtigungssignale dann auf, wenn die Hunde in eine enge Interaktion mit dem Artgenossen verwickelt waren. Nur 21% bzw. 9% aller Signale traten bei Interaktionen auf Distanz bzw. in Situationen ohne Interaktion mit dem Artgenossen auf. Verstärkt bzw. verwaschen werden diese Ergebnisse, wenn man bedenkt, dass die Hunde während der Dauer ihres Aufenthalts in der Testarena ungefähr gleich viel ihrer Zeit (nämlich je circa 40%) in enger Interaktion bzw. ohne Interaktion verbrachten, während die restlichen 20% der Zeit auf Interaktionen auf Distanz fielen.
Manche Beschwichtigungssignale wurden insgesamt häufiger gezeigt als andere: das Wegdrehen des Kopfes, das Schlecken über die Nase, und das Einfrieren führten die Liste an. Nahezu alle Signale wurden außerdem am häufigsten während des engen Sozialkontaktes verglichen mit den beiden anderen Kontexten beobachtet. Eine Ausnahme dazu bildeten das Schnüffeln am Boden und das Gähnen, die im Vergleich am häufigsten bei der Kommunikation auf Distanz beobachtet wurden.
Bezüglich des Einsatzes der Signale in Abhängigkeit vom Bekanntheitsgrad der Hunde zeigte sich, dass insgesamt bei der Interaktion zweier unbekannter Hunde mehr Beschwichtigungssignale vorkamen als bei Hunden, die sich kannten. Manche Beschwichtigungssignale wurden außerdem deutlich häufiger gegenüber eines unbekannten als eines bekannten Artgenossen gezeigt. Dazu gehörten das Wegdrehen des Kopfes, Lecken über die Nase, sich kleiner machen, Einfrieren und das Heben der Pfote. Dem hündischen Testpartner über das Maul zu schlecken trat hingegen zumeist gegenüber bekannten Hunden auf.
Zeigte der Empfängerhund im Kontakt aggressive Verhaltenselemente, so wurden diese in ungefähr 2/3 aller Fälle mit mindestens einem Beschwichtigungssignal des Senderhundes „beantwortet“. Das Auftreten von Beschwichtigungssignalen nach einer aggressiven Botschaft des Empfängerhundes war häufiger als nach anderen kommunikativen Verhaltensweisen von Seiten des Empfängerhundes. Außerdem rief aggressives Verhalten von unbekannten Hunden häufiger das Zeigen von Beschwichtigungssignalen hervor als aggressive Kommunikation von bekannten Hunden.
Die Beschwichtigungssignale schienen außerdem in Situationen, in denen aggressives Verhalten gezeigt wurde, tatsächlich eine „hemmende“ Wirkung zu haben. In 80% der Fälle, in denen der Senderhund mit mindestens einem Beschwichtigungssignal auf Aggression des Empfängerhundes „antwortete“, kam es zu einer Minderung des aggressiven Verhaltens. Statistisch gesehen war es also weniger wahrscheinlich, dass sich nach dem Zeigen von Beschwichtigungssignalen eine aggressive Interaktion in ihrer Intensität noch steigerte oder unverändert blieb – es kam eher zur Entspannung.
Startpunkt für weitere Forschung
Durch die Ergebnisse dieser Pilotstudie kann erneut die Hypothese in den Raum gestellt werden, dass die von Turid Rugaas als Beschwichtigungssignale bezeichneten Verhaltenselemente tatsächlich eine kommunikative Rolle spielen und zur Deeskalation von Konflikten beitragen könnten. Weitere Studien, die vor allem auch physiologische Parameter miteinbeziehen, werden aber nötig sein, um sich noch mehr Klarheit über die Zusammenhänge zu verschaffen. Eine Veränderung in der Häufigkeit der gezeigten Beschwichtigungssignale in den oben besprochenen Kontexten könnte zum Beispiel ursächlich auch dadurch bewirkt sein, dass bei intensiverer Kommunikation mit einem Artgenossen das Stresslevel beim Hund erhöht wird. Andere Autoren zum Beispiel schreiben Beschwichtigungssignalen nämlich keine kommunikativen Eigenschaften zu, sondern sehen sie als reine Stressanzeichen. Die Verfasser der aktuellen Studie sehen hier allerdings nicht per se einen sich ausschließenden Sachverhalt, denn die Signale könnten auch in ihrer Form als Stressindikatoren gleichzeitig eine deeskalierende Funktion erfüllen. Nachfolgestudien, die sich noch näher mit der Bedeutung und den Auswirkungen der einzelnen Signale, den begleitenden physiologischen Zuständen im Hund sowie auch anderen Hundepopulationen (zum Beispiel Hunden mit Defiziten in der sozialen Kommunikation) beschäftigen, werden hoffentlich immer mehr Aufklärung in dieses spannende Thema bringen.
Link zur Originalstudie: http://www.journalvetbehavior.com/article/S1558-7878(16)30246-5/fulltext