Von Hippieleben bis Soldatendasein: über Freiheiten im Hundeleben

„Heute macht er mal wieder nur, was er will“. Jeder Hundehalter und jede Hundehalterin hat diesen Satz wohl schon einmal ausgesprochen oder zumindest gedacht und vielleicht auch mit Freunden darüber gescherzt, dass der Hund mit der nächsten Lieferung ins All oder ins Tierheim verfrachtet wird. Dahinter steht natürlich manchmal nicht nur ein Spaß und eine kurze Unzufriedenheit, sondern auch ernster Ärger über das Verhalten des eigenen Hundes.

Eigenständiges Agieren eines Hundes entgegen der Wünsche seines Menschen wird häufig als schlechtes Verhalten, Verzogenheit, Sturheit oder der Absicht, den Halter bewusst ärgern zu wollen, kategorisiert. Sei es von außenstehenden Menschen oder von der Bezugsperson des Hundes selbst. Nicht selten kommt die Kritik auf, der Hund würde einem doch nur auf der Nase herumtanzen, und das könne man auf keinen Fall so akzeptieren.

Aber wo zieht man denn nun am besten die Grenzen? Was bringt es mir, dem Hund überhaupt mehr Freiraum zu belassen und was könnte auf lange Sicht problematisch werden? Wie so häufig lässt sich auch diese Frage nicht pauschal für jeden Hund gleich beantworten.

Niemals vergessen sollte man zunächst einen ganz wichtigen Aspekt. Nämlich, dass die allermeisten Hunde, die mit Menschen in einem Haushalt leben, von Regeln, Verboten und Einschränkungen nur so umzingelt sind.  Wir Menschen bestimmen nicht nur den groben Tagesablauf unserer Hunde, sondern auch sehr, sehr viele Details darin. Wo wohnt der Hund und in welcher Umgebung soll er sich aufhalten? Wann geht der Hund spazieren, wohin und wie lange? Was kommt in den Napf und wie viel? Wann darf der Hund frei laufen und wann wird er angeleint? Welche Artgenossen darf er treffen und mit welchen soll er sich regelmäßig abgeben? Wo soll er sich im Haus aufhalten und welche Räume darf der Hund betreten? Wie lange muss er alleine Zuhause bleiben und wohin darf er mitkommen? Diese Liste lässt sich noch ellenlang weiterführen.
Als Menschen sind wir diejenigen, die alle wichtigen Aspekte des Hundelebens bestimmen, natürlich auch die, bei denen es um essenzielle Grundbedürfnisse geht wie zum Beispiel Schlaf und Futter. Jegliches „der will dich doch nur verarschen“ oder „lass dir von dem nicht auf der Nase rumtanzen“ sollte immer auch unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, dass der Hund sich häufig nur klitzekleine Regelübertretungen erlaubt und keineswegs in der Mensch-Hund-Beziehung der geworden ist, der das Regelwerk erstellt und durchsetzt.

Gleichzeitig wäre es absolut gelogen zu behaupten, dass Hunde niemals ihren Willen durchsetzen möchten oder bestimmte Freiheiten regelmäßiger nutzen wollen, wenn sie einmal „auf den Geschmack gekommen“ sind. Natürlich machen Hunde so etwas und natürlich gibt es auch Hundetypen, die dabei zielstrebiger vorgehen als andere. Nur – so ein Verhalten ist grundsätzlich biologisch sinnvoll, völlig normal und kommt beim Hund in keinster Weise gesteigert vor! Im Gegenteil, durch ihre lange gemeinsame Geschichte mit dem Menschen sind Hunde mehr als jedes andere Säugetier (vermutlich das einzige überhaupt) dazu gebracht worden, besonders viele Einschränkungen von Seiten des Menschen von vornherein recht gut zu akzeptieren und noch nicht einmal als Einschränkung zu empfinden. Aber es wäre falsch zu sagen, dass Hunde nicht dazu in der Lage wären, auch mal Vorteile für sich selbst herauszuschlagen zu wollen. Warum sollten sie das auch nicht machen? Es liegt in der Natur eines jeden Lebewesens, seinen Bedürfnissen nachzugehen. Menschen tun das. Und Hunde tun es genauso. Ohne diese Eigenschaft wäre man nicht lebensfähig. Jedes Tier muss dabei mit Einschränkungen zurande kommen die in der Umwelt ganz automatisch entstehen – jedoch ist das Streben danach, möglichst viele Bedürfnisse auch ausleben zu können, die Norm und keine Abweichung davon. Die Messlatte wird bei Hunden – vielleicht gerade aufgrund ihrer im Allgemeinen besonders großen Kooperationsbereitschaft gegenüber dem Menschen – häufig sehr hoch angelegt. Auch dessen sollte man sich immer bewusst sein. Der Wunsch, sich permanent durchsetzen zu wollen (und das notfalls auch mit Nachdruck), aus dem Hintergedanken heraus, dass der Mensch sonst die Oberhand verliert und der Hund größenwahnsinnig wird, entbehrt unter diesem Gesichtspunkt jeglicher vernünftigen Grundlage.

Warum sollte ich meinem Hund Entscheidungsfreiheiten erlauben?

Selbst wenn man ethische Gesichtspunkte komplett außen vor lässt (hier ist es schließlich aufgrund unterschiedlichster persönlicher Einstellungen schwierig, überhaupt einen gemeinsamen Nenner finden zu können) hat das Zugeständnis von gewissen Entscheidungsfreiheiten im Leben eines Hundes Vorteile, die letztlich positiv auf den Hundehalter und die Hundehalterin zurückfallen.
Selbstvertrauen wirkt. Viele Hunde sind es gewohnt, sich in ihren Entscheidungen sehr stark am Menschen zu orientieren. Das machen sie zum Teil freiwillig (je nach Rasse bzw. Hundetypus mehr oder weniger), zum Teil aber auch, weil sie es im Alltag so erlernt haben und es letztlich zur Gewohnheit wurde, über die nicht mehr diskutiert wird. Ein klassisches Beispiel wäre, dass im Normalfall der Mensch bestimmt, welche Spazierroute das Mensch-Hund-Team einschlägt. Hunde warten an Weggabelungen meist ganz selbstverständlich darauf von uns zu erfahren, wohin wir denn nun weitergehen wollen und folgen unseren Vorgaben bereitwillig. Nicht allzu selten sieht man sogar Hunde, die permanent damit beschäftigt sind, sich bei ihrem Menschen zu vergewissern, ob das, was sie gerade machen, richtig ist. So ein Verhalten kann unter Umständen ein Vorteil sein. Fragt der Hund ständig nach, besteht eine geringere Gefahr, dass etwas passiert, was ich nicht möchte. Andererseits befinden sich solche Hunde in grober Abhängigkeit zum Menschen, und kommen ohne permanente Rückmeldung leicht in Stress. Eigeninitiative müssen sie oft erst wieder ganz neu erlernen. Zusätzlich verlangt eine durchgehend aufgebrachte Aufmerksamkeit auf die Vorgaben und Stimmungen des Hundebesitzers den Hunden nicht wenig ab – so etwas ist ganz schön fordernd für den Körper.

Nicht ganz unähnlich zu Kleinkindern lässt auch bei Hunden das Bewusstsein, gewisse Dinge eigenständig entscheiden zu dürfen und somit auch mehr Einfluss auf die Umwelt zu erhalten, das Selbstvertrauen in die Höhe wachsen. Dies wirkt sich letztlich positiv auf die Hundepsyche aus, denn ein selbstbewusster Hund ist in der Regel gelassener, ausgeglichener und stressresistenter. Außerdem lernt der Hund automatisch mit, dass der Mensch am Ende der Leine seine Bedürfnisse (salopp gesagt auch seine Ideen und Vorschläge) durchaus wahrgenommen und erkannt hat. Dies stärkt zusätzlich das Vertrauen zum Menschen und auch die Bereitschaft zur Kooperation.

Welche „Zuckerln“ kann ich meinem Hund im Alltag bieten?

Grundsätzlich gilt: die Freiheiten meines Hundes sollten nicht auf Kosten von anderen gehen, sei es Mensch, Tier oder der Natur ganz allgemein. Natürlich ist es nicht angebracht, den jagdeifrigen Hund im Wald abzuleinen, weil er doch so gerne auf die Suche nach Rehen geht. Einem Hund mehr Recht zur Mitentscheidung über seinen Lebensablauf anzubieten bedeutet auch nicht, einfach mal die Leine abzuhängen oder die Augen zuzumachen und den Hund sich selbst zu überlassen. Im Gegenteil, es bedeutet, den eigenen Hund genau zu beobachten, aufmerksam zu sein, wenn er uns Bescheid sagt, was er gerade möchte und ihn Dinge ausleben zu lassen, wenn dies ohne Nachteile für die Umwelt möglich ist. Es bedeutet auch, zu erkennen, wenn ein Hund etwas gerade NICHT machen möchte, ihm auch mal zu erlauben, „nein“ zu sagen und nach alternativen Wegen zum gewünschten Ziel zu forschen, die für den Hund besser geeignet sind.

Gerade, was die klassischen „Hundedinge“ angeht, können wir unseren Hunden einiges anbieten. Klarerweise lassen sich nicht alle Dinge zu jedem Zeitpunkt im Alltag mit einbauen. Kein Grund, es gar nicht zu versuchen.

Der Hund könnte zum Beispiel selbst entscheiden dürfen……

……welche Spazierrunde man entlang geht.

……wie lange man spazieren geht.

……wie lange man auf Spazierrunden wo verweilt.

……ob ein Bad in der Lehmpfütze jetzt genau das richtige ist.

……welches Futter oder Kauzeug er fressen möchte (Alternativen gleichzeitig anbieten, Hund darf wählen).

……ob er mit Hunden oder Menschen Kontakt aufnehmen möchte oder nicht (Körpersprache!).

……wo und wie lange er gebürstet werden möchte (stehen bleiben, Hund wählt Nähe und Position der Bürste selbst).

……wo und wie lange er gestreichelt werden möchte (Körpersprache!)

……usw.

Mit meinem Hund geht das nicht?

Für Hundetypen, die eher dazu neigen, ein angebotenes Mehr an Freiheiten schnell ausbauen zu wollen, kann eine besonders klare Struktur helfen, um im Alltag unnötige Konflikte zu vermeiden. Zum Beispiel: Gassigang mit Leine A bedeutet, der Hund darf sich für eine Route entscheiden. Gassigang mit Leine B bedeutet, der Mensch entscheidet.

Letztlich liegt es an jedem Hundehalter und jeder Hundehalterin selbst zu entscheiden, wie viel freie Wahlmöglichkeiten sie ihrem Hund in seinem Leben einräumen möchten und können. Dass einem Hund das Ausdrücken der „eigenen Meinung“ und so viel Eigeninitiative wie möglich aberzogen werden muss, damit er sich folgsam und kooperativ gegenüber seinem Menschen verhalten wird, ist jedoch ein Märchen, das sich leider immer noch hartnäckig hält. Ändern wir dieses Bild durch die positiven Beispiele unserer Hunde, die uns sowohl jederzeit als erstes durch die Tür gehen lassen, als auch mal entscheiden dürfen, ob es hinter der Tür rechts oder links herum gehen soll.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Blogparade 2018 zur Aktion „Tausche TV-Trainer-Ticket gegen Training“ der Initiative für gewaltfreies Hundetraining. Seit 2014 tauschen über 200 TrainerInnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz gebrauchte TV-Trainer-Tickets für ein halbes Jahr nach der Veranstaltung gegen eine Gratis-Trainingsstunde.

https://www.gewaltfreies-hundetraining.ch/tauschaktion/

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